Autor: Armin Rhodeberger

Gute Ausbildung und Arbeit in der Industrie 4.0

Von Kicker 4.0 bis hin zu Datenbrillen

Mitten im Raum steht ein Kicker. Nicht irgendein beliebiger Tischfußball, sondern ein „Kicker 4.0“: ein Tisch aus Stahl mit blau-metallic und messing-golden glänzenden Figuren. All das ist vernetzt und an ein Tablet  angeschlossen. Darauf kann man in Echtzeit Daten zum Spielverlauf ablesen. In den Ecken des Tischfußballs befindet sich software-gesteuertes Flutlicht. Im Raum nebenan ist ein Modell eines „smarten Hauses“ zu bewundern. Auszubildende und dual Studierende haben den Kicker und das Haus erschaffen. Sie tüfteln mit „Rasperry Pi“ und Arduino. Wir befinden uns im „Training Center“ der Firma PhoenixContact in Schieder in Nordrhein-Westfalen, ein Unternehmen, das Produkte im Bereich Elektrotechnik und Automation anbietet. Und wir sehen: Industrie 4.0 ist in der Ausbildung angekommen.

Webstuhl, Fließband, Computer: Diese drei Begriffe stehen für die drei ersten Wellen der Industrialisierung. Das Internet hat die vierte Welle ausgelöst. Deshalb spricht man von „Industrie 4.0“. Digitalisierung in der Industrie bedeutet weit mehr, als nur im Browser zu surfen oder Apps auf dem Smartphone zu nutzen. In der Industrie heißt „Internet der Dinge“, dass Maschinen untereinander und mit Menschen kommunizieren und Daten austauschen, so wie beim smarten Haus Lampen und Heizungen, Bewegungsmelder und Kühlschränke miteinander vernetzt sind. Prozesse lassen sich so besser steuern. Und durch moderne Technologien ist die „Losgröße 1“ möglich. Während auf Fließbändern große Mengen vom gleichen Produkt – bei sinkenden Kosten – entstehen, so lassen sich in der „Industrie 4.0“ auch Einzelstücke effizient herstellen. So präsentierte die Firma Krones auf der Hannover Messe2018 eine Flaschenabfüllmaschine, die in Sekundenschnelle Flaschen ausspuckt – und in jeder Flasche befindet sich ein anderes Getränk, in allen Farben des Regenbogens.

Digitale Geschäftsmodelle und künstliche Intelligenz

Immer größere Datenmengen, immer leistungsfähigere Rechner und immer bessere Sensoren befördern zudem neue Geschäftsmodelle. Digitale Plattformen – so wie AirBnB und Uber – sind längst in der Industrie und im „Business-to-Business“-Bereich angekommen. Vor allem „künstliche Intelligenz“ verändert die Produktion. Ein Beispiel: Wertet man viele Daten aus, die mit Sensoren an Maschinen erfasst werden, so lässt sich voraussagen, wann die Maschine voraussichtlich ausfallen wird – und die Anlage lässt sich rechtzeitig vorher instand setzen. Experten sprechen daher von „vorausschauender Maschinenwartung“ oder „predictivemaintenance“. Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Plattformökonomie: Die Grundlagen dafür, dass die Menschen dabei nicht unter die Räder kommen, werden vor allem in der Ausbildung gelegt. Da kommt es nicht nur auf die Praxis in den Unternehmen an, sondern auch auf den Rahmen: die Ausbildungsordnungen. Die werden in Deutschland nicht vom Staat allein festgelegt, sondern unter Beteiligung der Sozialpartner, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. So ist am 1. August eine „Teilnovellierung“ der industriellen Metall- und Elektroberufe in Kraft getreten. Experten aus der IG Metall und Wirtschaftsverbänden haben dabei ihren Sachverstand eingebracht. Die neuen Ausbildungsordnungen sehen unter anderem vor, dass Unternehmen Inhalte zu den Themen „Digitalisierung der Arbeit, Datenschutz und Informationssicherheit“ vermitteln müssen. Zudem gibt es sieben freiwillige Zusatzqualifikationen, die die zentralen Qualifizierungsschwerpunkte für Industrie 4.0 in Bereichen Metall, Elektro und Mechatronik abbilden. Sie reichen von „additiven Fertigungsverfahren“ (3-D-Druck) bis hin zur Programmierung. Betriebsräte und Ausbilder können diese Zusatzqualifikationen bedarfsgerecht für die Qualifizierung der Fachkräfte nutzen – im Rahmen der Berufsausbildung, aber auch in der beruflichen Weiterbildung.

Weiterbildung ist entscheidend

Wenn sich Technik und Produktionsverfahren schnell ändern, ist Weiterbildung umso wichtiger. Hier sind die Unternehmen gefordert, aber auch der Staat. Er muss Qualifizierung im Laufe eines Berufslebens besser fördern. Dazu gehört auch, den Beschäftigten die Zeit zu verschaffen, die sie für die Weiterbildung in der digitalen Transformation brauchen. Tarifpartner und Betriebsparteien gestalten die Qualifizierung mit. Qualifizierung ist nicht nur der Schlüssel zur Beschäftigungssicherung, sondern auch zum beruflichen Aufstieg. Wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, kann den Techniker, Meister oder Fachwirt draufsatteln. Staatliche Unterstützung dafür gibt es in Form des „Aufstiegs-BaföGs“ – bislang allerdings in unzureichender Höhe.
Qualifizierung findet indes nicht nur in langen Lehrgängen statt, sondern vor allem am Arbeitsplatz selbst. Und die Digitalisierung selbst spielt dabei eine immer größere Rolle – etwa, wenn der Beschäftigte auf einem Tablet kurze Erklär-Filme anschauen kann und digitale Assistenzsysteme zum Einsatz kommen, bis hin zu Datenbrillen, „Virtual Reality“ und „Augmented Reality“.
Wo Daten das Geschäftsmodell sind und permanent gemessen, gespeichert und ausgewertet werden, fallen auch große Mengen Daten an, mit denen sich theoretisch Leistung und Verhalten der Beschäftigten überwachen lassen. Ein wirksamer Arbeitnehmerdatenschutz gehört daher unerlässlich zum Ordnungsrahmen für die digitale Transformation.
Dieser Ordnungsrahmen umfasst noch mehr. Industrie 4.0 verändert die Arbeit, aber sie verändert nicht die Grundbedürfnisse des Menschen selbst. Deswegen müssen Persönlichkeits-, Arbeits- und Gesundheitsschutz auch im Zeitalter der Digitalisierung gesetzlich verankert bleiben. Viele gute Beispiele zeigen übrigens, dass Flexibilität und Agilität im Sinne von Beschäftigten und Unternehmen, auch im Rahmen des geltenden Rechts, möglich sind.

Industrie 4.0 bietet riesige Chancen – gerade für junge Menschen. Aber manche verunsichert sie auch. Umso wichtiger sind Beteiligung und Mitbestimmung. Und das bedeutet: umso wichtiger ist gelebte Sozialpartnerschaft.